48 Stunden im Wald - the full story

Erwartungen

Ich bin aufgeregt! Inspiriert durch den bevorstehenden Besuch des Überlebenskünstlers Rüdiger Nehberg habe ich mir vorgenommen 48 Stunden im Wald zu leben. Nur von dem zu Essen, was ich finde und mich gänzlich in der Natur fortzubewegen. Der gesamte Luxus den ich mir gönne, befindet sich in meinem Rucksack: Isomatte, ein leichter Schlafsack, Biwacksack, warme Jacke, Regenjacke, ein Feuerzeug, Edelstahltopf, Wasserflasche und ein kleines Döschen mit Salz. Als Zusatzgewicht noch einen Fotoapparat und Stativ, um das Abenteuer zu dokumentieren. Ich sitze im Zug und versuche mir vorzustellen, was da auf mich zukommt.

Wo überleben? Anfangs dachte ich an Berge und Wanderstrecken, die ich kenne, wobei mir irgendwann klar wurde, dass der Schlüssel zur Energieerhaltung nicht das Essen, sondern das Nicht-zuviel-bewegen sein wird. Den die meisten Tiere halten auch den Großteil des Tages still. Etwas, das ich gar nicht gewohnt bin, aber ich freue mich auf eine Geduldübung.

 

Schlussendlich habe ich mich für ein bergiges Waldgebiet entschieden, indem ich wegkomme von der Zivilisation, aber auch noch genug Diversität an Pflanzen vorfinde. Also Mischwald, Sträucher und Gräser.

 

Was essen? Ich bin zwar kein Biologe, aber generell kenne ich mich im Wald gut aus. Allerdings ist mir völlig unklar, ob ich genug finden werde, um nicht extremen Hunger leiden zu müssen bzw. einen Kreislaufzusammenbruch zu verhindern. Nur vom Beerennaschen wird sich das wohl nicht ausgehen. Wobei Beeren ohnehin knapp sind, da der Herbst bereits merklich Einzug hält. Ich hoffe umso mehr auf Samen: Haselnüsse, Bucheckern und Ähnliches. Pilze wären wunderbar, wobei ich hier gerade einmal drei essbare Sorten unterscheiden kann. Brennnesselsuppe ist ein solider Notfallplan auf den ich gespannt bin, da ich das noch nie gegessen habe.

Ich rechne mit veganer Ernährung, da ich keine Nester ausräumen werde, keine Angel dabei habe und nicht vorhabe Tiere zu jagen. Dabei fällt mir ein, was mein veganer Schwager mir einmal erklärt hat: „Ein Veganer ist wie eine Kuh: Er isst den ganzen Tag vor sich hin.“ Nachdem ich ohnehin nicht mit drei vollen Mahlzeiten rechne, wird das meine Strategie sein. Ich esse alles, von dem ich denke, dass es essbar ist und davon soviel wie möglich.

Der Zug verlangsamt. Die nächste Station ist meine. Es ist kurz vor 12:00 Uhr mittags. Es geht los. 

Tag 1

Zwischen der Zughaltestelle und dem Wald liegt nicht viel Zivilisation. Eine kleine Straße führt mich an ein paar Häusern vorbei, danach nur mehr Äcker und Wiesen. Ich sehe einen Apfelbaum mit kleinen reifen Äpfeln, der nicht abgeerntet wurde und es sieht auch nicht so aus, als würde das noch jemand tun. Keine Seltenheit, denn mir fallen oft Obstbäume auf, bei denen es niemandem den Aufwand wert ist, die Früchte zu verwerten. Laut Nehberg-Regeln ist es verboten von Äckern und aus Gärten zu stellen. Tu ich auch nicht, aber einen Apfel, der auf die Straße gekullert ist, nehm ich mir dennoch als gefundenes Fressen. Nehberg hatte auf seinen 1000 Kilometern durch Deutschland ja auch tote Hasen und Eichkätzchen gegessen, die er auf der Straße gefunden hat. Der Apfel wird mein Joker für harte Zeiten sein.

 

An drei weiteren Stellen des Weges finde ich Brombeersträucher. Die einzigen Beeren, die jetzt noch wachsen und in meinem Kopf dreht sich das Mantra: „Man kann nie genug Brombeeren essen, man kann nie genug Brombeeren essen, man…“ Als der Wald dichter wird, ändert sich das zu: „Man kann nie genug Sauerklee essen.“ So grase ich mich den Weg entlang. Haselnüsse und Buchäckern sind eine Enttäuschung. Die dürften erst in einem Monat reif sein. Bleibt also noch auf Pilze zu hoffen. Tatsächlich finde ich einige obskure Schwammerl, die ich aber alle links liegen lasse. 

Langsam merke ich, wie sich einstellt, was ich mir erhofft habe: Ich gehe langsam. Langsamer als ich wenn ich sonst langsam gehe. Jeder Schritt wird bewusst gesetzt. Ich atme ruhig, möchte nicht ins Schwitzen kommen und lasse den Blick schweifen. Hauptsächlich um Essbares zu finden. Dabei fallen mir aber viele Details auf, an denen ich sonst vorbeigehe weil ich mit dem Wandern beschäftigt bin. Durch mein Suchen fordere ich meine Aufmerksamkeit.

 

Das war auch meine Idee zu der ganzen Aktion. Es geht mir nicht um Selbstkasteiung, sondern um Achtsamkeit. Durch das Weglassen einer sonst so selbstverständlichen Sache einmal den Blick verändern. Verstehen was uns die Natur ohne Landwirtschaft geben würde, sehen wie der Mensch die Natur verändert und auch einen Blick nach innen auf die eigenen Bedürfnisse und Fähigkeiten. Schon in der Vorbereitung ohne Schwarztee und Kaffee musste ich mehr auf meinen Körper hören. Ich habe die Mengen an Nahrung reduziert um mich darauf vorzubereiten, dass nicht viel meinen Magen füllen wird.

Jetzt am Abend sitze ich am Lagerfeuer und fühle mich gut. Es war zwar eine Qual die gekochten Brennnesseln runterzuwürgen (Gott sei Dank hab ich Salz mit, dafür hab ich Gabel oder Löffel vergessen), aber der volle Bauch entspannt und ich genieße, wie es um mich herum dunkel wird.

 

Seit 12:00 Uhr gegessen:

2 Hand voll Brombeeren

1 Hand voll Klee

1 Hand voll Löwenzahnblätter

2 schwarze Holunderbeeren (gar nicht so schlecht)

Brennnessel gekocht ca. 200 Gramm

 

Tag 2

Die Nacht war nicht sehr angenehm. Mein Schlafsack ist für Spätsommer unterdimensioniert und ich war damit beschäftigt mich selbst zu umarmen. Ich schlief stundenweise und hatte es in der Früh nicht eilig aufzustehen. Als die Sonne heraussen ist, sitze ich eine halbe Stunde im Lotussitz auf meiner Isomatte und esse Löwenzahnblätter, die rund um mich wachsen. Als ich losmarschiere bin ich guten Mutes. Ich habe den ganzen Tag vor mir und bin gespannt. Die erste Stunde gibt nicht viel her, außer noch mehr Löwenzahn. Dann komme ich an einem Holunderstrauch vorbei an dem gerade noch drei dunkle Beeren hängen. Ich koste sie und sie sind nicht einmal so bitter wie vermutet. Der intensive Geschmack wird meinen Magen wohl beschäftigt halten, wenn die Beeren mengenmäßig nicht viel hergeben. 

 

Langsam und bedächtig gehe ich weiter und dann kommt, was kommen muss. Ich hatte mir ja vorgenommen den Weg nicht zu ehrgeizig anzulegen. Gerade so viel Fortbewegung wie die Futtersuche benötigt. Aus Gewohnheit und Freude an diesem schönen Tag gehe ich dann allerdings doch weiter als geplant. Ich passiere eine kleine Herde Steinböcke und merke wie lächerlich die Mengen an Grünzeug sind, die ich zu mir nehme. „Die hauen ganz schön rein.“, denke ich mir und erhöhe meine Sauerkleerationen. Schritt für Schritt steige ich höher. Es geht mir gut. Ich halte mein Verdauungssystem mit winzigen Häppchen beschäftigt, dass es zumindest nicht zu einem übermannenden Hungergefühl kommen kann. Auf einmal schaue ich auf und merke, dass ich verirrt habe. Also entweder zurück dorthin, wo es nichts zu Essen gibt, oder durch wegloses Gelände einen steilen Hang hinauf. Natürlich entscheide ich mich für zweiteres, aber mit Puls unten halten ist jetzt nichts mehr. Als ich endlich oben am Grat ankomme, bin ich verschwitzt und froh, aber auch angespannt. Der weitere Weg ist jetzt ziemlich weit und bis morgen Mittag nur von Klee und Löwenzahn zu leben wird hart. Da fallen mir wieder die Brennnesseln ein. Igitt, Brennnesseln. 

Ich gehe eine Forststraße entlang die nichts hergibt. Links unter mir sehe ich noch einen zweiten Kiesweg queren. „Eine Abkürzung!“, denke ich mir, bin aber skeptisch ob es sich auszahlt, oder doch wieder in einem Umweg resultiert. Ich hab nichts zu verlieren, also marschiere ich querfeldab. Wieder einmal entdecke ich einen Pilz, von dem ich mir mittlerweile aber nicht mehr viel erwarte. Bei näherem Hinsehen wächst die Hoffnung, dass es doch ein Eierschwammerl ist. „Wo ein Eierschwammerl ist, müsste es auch noch mehrere geben.“, sagt mir mein Laienpilzwissen und ich blicke rundum. Gold! Kleines, aus dem Boden schießendes Gold. Ich lege meinen Rucksack ab und innerhalb einer viertel Stunde habe ich mein kleines Proviantglas prall gefüllt. Ein paar größere Schwammerl packe ich in den leeren Topf. Ich fühle nicht nur das Glück des Schwammerlsuchers, sondern auch große Erleichterung nicht hungrig schlafen gehen zu müssen. 

Der Weiterweg geht beschwingt bergab und die Gewissheit Essen im Rucksack zu haben, macht ihn erträglicher, auch wenn ich langsam den Nahrungsentzug spüre. Da stoße ich erneut auf einen Holunderstrauch. Diesmal hängt er voller dunkler, überreifer Beeren. Ich lange gierig zu. Der Geschmack ist bitter, intensiv, aber es ist ok. „Diese Ration wird mich wohl gut zum Übernachtungsplatz tragen, den ich für heute angepeilt habe.“, freue ich mich.  Eine Stunde später bin ich mir da nicht mehr so sicher. Mir ist leicht übel und die Anstrengung des Bergabgehens setzt mir zu. Mein Rucksack ist viel zu schwer, merke ich. „Nur nicht übergeben! Das wäre das Letzte, was ich jetzt brauche. Mit Wasser aus meiner Trinkflasche verdünne ich die Überdosis an Holler in meinem Magen. Langsam – Schritt für Schritt – gehe ich weiter, bis ich endlich zur Abzweigung zu meinem Lagerplatz komme. Bevor ich aufsteige, gehe ich mit meiner Flasche zum Bach um Wasser für die Nacht zu holen. Oben angekommen bereite ich noch eine Feuerstelle vor und sammle Holz, wobei ich noch einen Steinpilz finde. Was für ein Glück! Den zweiten in meinem Leben. Das macht den Tag perfekt. Ich tratsche noch eine halbe Stunde lang mit zwei Wanderern, die hier unüblicher Weise vorbeikommen, erkläre Ihnen aber nicht mein Experiment, sondern gebe mich bedeckt. Als sie weitergehen zünde ich mein Feuer an und schreibe Tagebuch, bis eine annehmbare Glut entstanden ist. Ich leere etwas Wasser zu den Eierschwammerln im Edelstahltopf, schließe den Deckel und stelle ihn ins Feuer. Mit einem Spieß aus Buchenholz genieße ich Pilz für Pilz. Danach schlürfe ich die Suppe aus und dann zweiter Gang: Steinpilz. Wieder gleiches Rezept. Ein bisschen Wasser, ein bisschen Salz – perfekt. Ich schaue noch einige Zeit ins Feuer, dann in den Sternenhimmel und freue mich aufs Nachtlager. Was für ein gelungener Tag!

Heute gegessen:

Viele Löwenzahnblätter

Viel Klee

4 Hand voll Holunderbeeren (wie sich herausgestellt hat giftig!)

5 Himbeeren

8 Brombeeren

1 Gänseblümchen

1 Haselnuss

Ca. 200 Gramm Eierschwammerl

1 Steinpilz 

Keine Brennnesseln – Juhu!

Tag 3

Ich wache bei weitem nicht so fit auf, wie ich es erwartet habe. Mein Kreislauf kommt nicht in die Gänge. Wenn ich mir ansehe, was ich in Summe gegessen habe, wird mir klar, dass es zwar viel mehr als Nichts war, aber weit weniger Kalorien als mein Körper gewohnt ist. Ich tröste mich damit, dass ich nur mehr sechs Stunden durchhalten muss, frage mich aber, wie Rüdiger Nehberg das über Wochen aushalten konnte und dabei noch weit marschieren. Da fällt mir der kleine Apfel ein, den ich am ersten Tag gepflückt habe. Gierig verschlinge ich ihn, versuche aber dabei gut und oft zu kauen. Mein Bauch gurgelt zufrieden.

 

Mit Dehnübungen komme ich in die Gänge, packe meine Sachen und baue die Feuerstelle zurück. Ich möchte keine Spuren hinterlassen. Ich marschiere los. Freude kommt auf. Ich lasse mir aber dennoch Zeit. Zum Abschluss gibt es noch eine feine Überraschung. Brombeerbüsche am Wegrand, die sogar noch halbwegs Früchte tragen. Zwar sind die meisten schon vertrocknet, aber insgesamt ist es doch wieder eine Hand voll. Auf jeden Fall mehr als erwartet.

Der Rest des Weges fällt mir leicht. Die letzte Stunde nutze ich um diese Notizen zu machen, bevor ich mir bei einem Gasthaus eine Suppe bestelle. Jetzt nur nicht übertreiben.

 

Gegessen:

1 Apfel

1 Hand voll Brombeeren

Ein paar Löwenzahnblätter

 

Fazit

Es geht. Vor allem über so kurze Zeit. Wirklich verhungern würde der Mensch ja erst nach mehreren Tagen ohne Nahrung, solange er Flüssigkeit hat. Dementsprechend habe ich es sehr genossen und freue mich sehr, dass die Achtsamkeitsübung gelungen ist. Das Naturerlebnis war intensiv und man bekommt einen Einblick in das fragile Leben anderer Lebewesen, die auf die natürlichen Kreisläufe angewiesen sind.

Ich konnte einen Hauch von Existenzangst spüren, die sicherlich nach mehreren Tagen intensiver geworden wäre. Oft habe ich mich gefragt, wie lange es wohl dauern würde, bis ich auch Schnecken, Insekten und Eidechsen essen würde. Ich glaube keine Woche. Es war schön eine Armut zu spüren, die meine Generation in Österreich nicht kennt. Echter Hunger, keine Reserven auf die man jederzeit zurückgreifen kann. Wieso war es schön? Weil es jederzeit vorbei sein kann und zeitlich begrenzt war. Menschen, die tatsächlich sehr begrenzte Vorräte haben, finden das sicher bedrohlich.

 

48 Stunden allein im Wald ist auch keine Zeit in der einem langweilig wird. Es gibt viel zu sehen, zu erfahren und zu spüren. Die Natur ist keine liebende, gütige Mutter, die die Füllhörner ausschüttet. Sie ist beinharter Kreislauf, sie ist ständiges ineinandergreifen von Abläufen und sie ist vor allem faszinierend genial in ihrer Entstehung. Schade, dass wir uns viel zu selten die Zeit nehmen das zu sehen. 

Tiere, die ich in 48 Stunden gesehen habe:

4 Eichhörnchen

1 Reh

Viele Laubfrösche

5 Steinböcke

1 Mäusebussard

Amseln und andere kleine Singvögel

Viele Mistkäfer

Ameisen

1 Blindschleiche

1 Hase 

1 Maus, die von einem Greifvogel attackiert wurde, aber fallen gelassen, weil ich in der Nähe war. Sie hats überlebt.